Marco de las Heras zum bösen Wort

Monika Rinck. Das Böse Wort. Wir hatten beide zu Gast. Monika Rinck, die arrivierte deutschsprachige Lyrikerin, hatte das böse Wort ins Schweizerische Literaturinstitut eingeladen, und fragte: Wer weiß, wer das ist? Betretenes Schweigen. Etwas peinlich. Wir alle hatten schon einmal davon gehört, aber keiner traute sich, es auszusprechen, es zu erraten. Meinte sie damit Beschimpfungen? Meinte sie demagogische Ansprachen? Meinte sie das lyrische, böse Wort, demnach etwas, wovon wir ehrlich gesagt, wenn überhaupt, nur eine Ahnung hatten? Sie meinte das alles. Vor allem aber meinte sie: Die Sprache ausschreiten. Eine lyrische Bandbreite aufstellen. Dabei halfen uns Texte von Denise Riley. Von Ilse Aichinger. Von H.C. Artmann. Aber wir scheuten auch keine Mühe nach Mexiko zu reisen und uns Gedichte über Zombies von Luis Fabre anzulesen. Einen Selbstversuch zu wagen. Einen Traum zu evozieren:

 

Der Nachtmahr sitzt im Schulterblatt

mein Wadenbein verkrampft zweimal

auf der Steigung zu ihr.

Den Morgentau aus ihrem Haar gewrungen

schleife ich sie durch den Rinnstein der Schuld.

Abends stehe ich am Fuße der Treppe von oben

poltert mein Glaube hinab in die Hände.

Verfangen im Netz bersten die Knochen das Licht

ich lausche dem Knick

im Nacken der Dunkelheit.   

 

Marco de las Heras

 

 

Durch die verschiedenen Lyrikbeispiele und Reflexionen, die wir vorgelegt bekamen, war es uns möglich über den eigenen lyrischen Horizont nachzudenken. Ihn eventuell auszulöschen, und in seiner Auslöschung mit Thesen von Riley zu unterfüttern: „There’s an unholy coincidence between beauty and cruelty in their verbal mannerisms; citation, reiteration, echo, quotation may work benignly, or as a poetics of abusive diction.“

 

Keine ungeahnte Wahrheit, aber doch eine, der wir StudentInnen uns zu selten bedienten. Brutalität in Form von Schönheit. Dass jeder Scheußlichkeit eine Blüte innewohnt, zeigte auch H.C. Artmann auf, dessen Gedichte besonders starken Eindruck hinterließen. Wie schnell geraten Flüche ins Harmlose, oder gehen gar ins Poetische über, verfliessen wie Aquarell? Diesen Fragen gingen wir nach und nahmen uns seiner Gedichte an:

„Ich wünsche dir, dass du über einen ausgestreckten Hahnenfuß stolperst, / daß du zwischen zwei Schwertlilien gerätst, daß dich eines abends ein Löwenzahn beißt.“

 

Warum also sollte ich meiner Geliebten einen Liebesbrief schreiben, wenn ein Drohbrief doch vielmehr auf den Punkt bringt, was ich ihr sagen möchte? Dass darin vielleicht sogar die eigentliche Liebe begriffen ist. Im Drohen. Im Fluchen. Im Ausarten. Fragen, die plötzlich aufgeworfen werden.

Der Austausch mit Monika Rinck war dabei essentiell. Nicht nur, dass sie sich nicht zu schade war, selbst zu fluchen, sondern auch, dass sie uns an ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und ihrem Denkprozess während des Kurses teilhaben ließ. Uns in Debatten verwickelte und unser Schaffen damit fruchtbar machte. Dafür möchten wir danken, wir StudentInnen: Wir wünschen dir, liebe Monika, daß deine violetten Veilchen ergelben mögen, daß deine roten Rosen bis über die Ohren erbleichen und daß deine duftenden Orchideen anfangen nach Lebertran zu riechen. Ein großes, stinkendes Dankeschön!