Von der Lone-Wolf- zur Feedback-Generation. Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Schreiben im Zwiegespräch“

Aufnahme von 1932, Georges Simenon während eines Arbeitsgesprächs mit dem Schauspieler Valery Inkijinoff

Nick Hornby hat in einem Interview (SZ-Magazin, 9.1.2015) mal gemutmaßt, dass seine beiden ersten LeserInnen – seine Frau und seine Lektorin – sicherlich dazu beitrügen, dass er so gut aus der Perspektive weiblicher Figuren schreiben könne. Solche Kommentare zu aktiven, den Schreibprozess begleitenden und beeinflussenden LerserInnen sind selten. Hornby hat den Gedanken nicht weiter ausgeführt, aber es wäre möglich, dass ihn der regelmäßige Austausch mit den beiden auf eine ähnliche Weise beschäftigt, wie Wolfgang Hermann die «Gärtner-Schaufel» oder die «Passig-Schere» beschäftigt hat. Marcus Gärtner war Hermanns Lektor und Katrin Passig eine Kollegin, der er regelmäßig Texte zu lesen gab, an denen er gerade schrieb. Ihre Kommentare und Korrekturen waren über die Jahre zu einer Art inneren Stimme geworden, die sich in die Formulierungsarbeit einmischte.

Die Frage, wie sich diese innere Stimme aus Praktiken des Mentorat und des Lektorats herausbilden kann, beziehungsweise wie Gespräche mit LektorInnen und MentorInnen am Text „mitschreiben“, hat auch eine Gruppe von Forscherinnen am SLI beschäftigt. Für das vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Forschungsprojekt „Schreiben im Zwiegespräch“ haben Marie Caffari, Johanne Mohs und Katrin Zimmermann seit 2014 Interviews mit LektorInnen und ihren AutorInnen geführt und Mentoratsgespräche am SLI, im Master en Création littéraire der Université Paris 8 und im Master in Creative Writing an der University of East Anglia aufgenommen und ausgewertet. Nun sind die Ergebnisse aus dem Projekt in einem Sammelband bei transcript und in einer Nummer der Zeitschrift A Contrario erschienen. Neben den Forscherinnen kommen darin auch LektorInnen, MentorInnen und Ehemalige des SLI in drei verschiedenen Sprachen – Deutsch, Französisch und Englisch – selbst zu Wort : Jo Lendle (Hanser), Petra Gropp (Fischer) Klaus Siblewski (Luchterhand) und Caroline Couteau (Zoé) äußern sich zu ihrer Zusammenarbeit mit AutorInnen und ihrem Verständnis des Lektorats, Ruth Schweikert und Claire Genoux reflektieren ihre Erfahrungen im Mentorat am SLI aus Sicht der Mentorinnen und Matthias Nawrat und Thomas Flahaut aus Sicht der (ehemaligen) Studierenden – das gleiche gilt für Sylvain Pattieu, Dozent in Paris, und Giles Fodan sowie Jean Mc Neal, die in Norwich unterrichten. Die verschiedenen Artikel, Interviews und Berichte zeichnen insgesamt ein produktives Bild von dialogischen Schreibprozessen: Es geht um Fragen der Autonomie der Schreibenden und des Textes, um die Bedeutung des Publizierens, des Zuhörens oder Einübens von Perspektivenwechseln, aber auch um die befreiende Wirkung, die es haben kann, wenn man sich (zeitweise) einer kritischen Instanz überlässt.

Die Beiträge des transcript-Bands sind unter folgendem Link frei zugänglich: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4076-2/schreiben-im-zwiegespraech/writing-as-dialogue/ Über das A Contrario-Heft kann man sich hier genauer informieren: https://www.cairn.info/revue-a-contrario-2018-2.htm Und ein Ausschnitt aus Thomas Flahauts Text wurde auch im Courrier veröffentlicht: https://lecourrier.ch/2019/02/24/les-reecritures-dostwald/ Weitere Artikel sind hier http://www.double-ponctuation.com/produit/lauto-edition-version-numerique/ oder hier https://journal.lib.uoguelph.ca/index.php/nrsc/issue/view/219 zu finden und folgen in den nächsten Monaten...